Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Eine aktuelle Publikation des Schweizerischen Wissenschaftsrats (SWR) kommt zum Schluss, dass die sogenannte soziale Selektivität zunehmend zum  Problem wird. Damit ist gemeint, dass sich der Bildungsweg und der Erwerb von Abschlüssen mit grosser Wahrscheinlichkeit anhand der sozioökonomischen Ressourcen und dem Bildungsniveau des Elternhauses vorhersagen lässt. Mit anderen Worten: Kinder von Eltern mit einem Universitätsabschluss haben die höchste Wahrscheinlichkeit, ebenfalls einen solchen zu erlangen; Kinder aus bildungsfernen Familien oder mit einem Migrationshintergrund hingegen  kaum, selbst wenn das Potenzial vorhanden ist. Dies ist nicht nur ungerecht und bezüglich der Chancengleichheit ein Problem, sondern schadet nachweislich auch unserer Volkswirtschaft. Es gibt immer weniger Berufe mit geringen Anforderungsprofilen, und gleichzeitig nimmt der Fachkräftemangel zu. Damit ist es umso wichtiger, das Potenzial aller Jugendlichen auszuschöpfen, und dies gelingt in unserem Bildungssystem viel zu schlecht. Der SWR kommt auch zum Schluss, dass die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein Bildungssystem hat, das durch ein hohes Ausmass an Chancenungleichheit  geprägt ist. Die neusten Daten des Bundesamts für Statistik zeigen eindeutig auf,  dass soziale Ungleichheiten durch das Bildungssystem nicht vermindert,  sondern vielmehr reproduziert werden. Angesichts der vorliegenden Befunde ist die Politik und sind wir als Eltern und Stimmbürgerinnen gefordert. Nachweislich können Investitionen in den Ausbau und die Qualität von frühkindlicher Erziehung und Bildung sowie in die Qualität der  Primarschulbildung dieser Ungleichheit entgegenwirken. Dies kann durch den Auf- und Ausbau eines Kita-Angebots oder durch Tagesschulstrukturen  eschehen. Bestehende Massnahmen wie Deutsch als Zweitsprache, diverse therapeutische Angebote (Logopädie, Psychomotorik- Therapie usw.) und  Hausaufgabenhilfe müssten in diesem Rahmen weiter  ausgebaut werden. Vorgeschlagen wird auch eine Abkehr von der Jahrgangsklasse hin zu Zwei- oder Drei-Jahrgangsklassen. Das bietet Kindern die Möglichkeit, ohne Stigmatisierung ein Zusatzjahr in Anspruch zu nehmen. Die Einführung oder der Ausbau solcher Massnahmen (Tagesschulen, Aufhebung der  ahrgangsklassen, Einführung von Lernlandschaften usw.) erfordert von allen Beteiligten im Bildungswesen den Mut und den Willen zur Veränderung. Dass dies  dringend nötig ist, zeigen die Untersuchungen. Chancengerechtigkeit in der Bildung anzustreben ist ein Grundprinzip unseres demokratischen Gemeinwesens und muss daher ein zentrales Anliegen sein.


Sibylle Jüttner, Andelfingen
SP-Kantonsratskandidatin